Ibrahim und die Götzen seines Vaters
Vor etwa 4000 Jahren lebte in der Stadt Ur im Zweistromland ein Mann namens Azar. Ur war damals eine prächtige Stadt mit hohen Gebäuden, breiten gepflasterten Straßen, Brunnen und Wasserleitungen. Dort wohnten reiche Kaufleute und berühmte Gelehrte, und es gab Theater und Bibliotheken. Aber die Menschen beteten nicht zu Allah, sondern auch zu unzähligen Götzen. Außerdem hatten sie die Himmelskörper erforscht, um daraus die beste Zeit für Aussaat und Ernte und viele andere Dinge zu berechnen; aber im Laufe der Zeit übernahmen sie den Aberglauben, Sonne, Mond und Sterne seien selbst die Ursache für die Ereignisse auf der Erde, und man könnte aus ihnen das Schicksal der Menschen ablesen. Darum beteten sie auch die Himmelskörper an. Tag und Nacht waren sie von der Angst geplagt, dass sie Gebet oder Opfer für einen ihrer Götzen vergessen könnten und dieser dann zornig würde.
Azar war ein angesehener Mann. Sein Beruf war es nämlich, aus Holz und Stein alle die verschiedenen Götzenbilder zu machne und sie mit Silber und Gold zu überziehen und mit Edelsteinen zu verzieren.
Nun hatte aber Azar einen Sohn namens Ibrahim. Sobald dieser in das Alter kam, wo junge Menschen anfangen ihre Umgebung zu beobachten und darüber nachzudenken, fragte er seinen Vater: "Was sind das für Figuren, warum betet ihr sie an?" Azar erzählte ihm darauf alle Geschichten, die von seinen Vorfahren überliefert worden waren und die von verschiedenen Heldentaten der Götzen handelten, die früher alle einmal berühmte Leute im Volk gewesen waren; aber Ibrahim sah wohl, dass die Götzen nur Figuren waren, die sich niemals von der Stelle rührten, kein Wort sprachen und nicht einmal die geopferten Speisen anrührten, während die einstigen wirklichen Helden längst in ihren Gräbern lagen, und er sagte zu seinem Vater: "Aber sieh doch, sie bewegen sich überhaupt nicht." Azar meinte, er sei ein dummer Junge und nicht ernst zu nehmen, und wandte sich wieder seiner wichtigen Arbeit zu.
Ibrahim dagegen dachte weiter nach. Er studierte die Wissenschaften seiner Zeit und beobachtete selbst die Himmelkörper, um herauszufinden, was richtig und was falsch war. Am Abend beobachtete er einen besonders hellen Stern, den die Leute der Stadt Ur anzubeten pflegten. Aber nach einiger Zeit ging der Stern unter, und Ibrahim sprach: "Ich mag keine Dinge als meinen Herrn ansehen, die untergehen." Kurz darauf ging der Mond auf, und darüber gab es im Volk eine Menge Sagen und Gedichte, in welchen der Mond als ein mächtiger Götze geschildert wurde. Mit seinem hellen Licht erleuchtete er die Nacht. Aber nach einiger Zeit ging auch er unter. Ibrahim sprach: "Wenn Allah mir nicht den richtigen Weg zeigt, gehöre ich wirklich zu den Verirrten!" Schließlich ging die Sonne auf. Das Volk hielt die Sonne für den größten Himmelskörper und glaubte, von ihr käme alles Leben auf der Erde. Aber als der Abend kam, ging auch die Sonne unter. Da erkannte Ibrahim mit Gewissheit, dass alle diese Himmelskörper nur Geschöpfe des wahren Gottes sind und sich nach Seinen ewigen Gesetzen bewegen und nur auf Seinen Befehl hin Licht und Wärme spenden, und er sprach: "Ich wende mich ab von allem Trug und vertraue allein auf Allah. Ich bin frei von allem, was die Menschen Allah zugesellen, und frei von der Furcht vor falschen Götzen, die in Wirklichkeit keine Macht haben. Ich wende mich mit ganzem Herzen zu Ihm, der Himmel und Erde geschaffen hat." Nach dieser Erkenntnis kehrte Ibrahim zu seinem Vater und seinem Volk zurück. Allah gab ihm Weisheit und Erkenntnis und machte ihn zum Propheten. Ibrahim fing an, dem Volk die Wahrheit zu predigen: "Ihr und eure Väter seid dem Irrtum verfallen, denn eure Götzen haben nicht einmal Macht über sich selbst. Hören sie etwa, wenn ihr sie anruft? Können sie euch nützen oder schaden? In Wirklichkeit ist es Allah, der euch erschaffen hat und auch Holz und Steinen aus denen ihr euren eigenen Händen die Götzen macht. Wendet euch deshalb zu Ihm, denn es gibt keine wirkliche Macht außer bei Ihm, dafür bin ich ein Zeuge."
Die Götzendiener ließen sich jedoch nicht von seiner Rede zum Nachdenken bewegen. Die einen sagten: "Du machst vielleicht Witze", und die anderen sagten: "Unsere Götter werden dich bestrafen, wenn du so über sie redest." Aber Ibrahim entgegnete: "Von der Angst vor euren leblosen Götzen bin ich frei, denn ich fürchte nichts außer Allah. Wie soll ich etwas fürchten, das keine Macht hat, ihr aber fürchtet nicht einmal den, dem die wirkliche Macht gehört? Antwortet mir, wenn ihr überhaupt etwas zu sagen habt. Wenn aber nicht, was streitet ihr dann mit mir. Wer glaubt, findet bei Allah seine Sicherheit."
Die Götzendiener hörten nicht auf zu streiten, und Ibrahim sprach: "Die Götzen sind Menschenfeinde, ihr Weg führt ins Verderben. Ich aber vertraue auf Allah, meinen Schöpfer, den Herrn der Welten, der mich auf den rechten Weg führt, der mich sterben lässt und wieder auferweckt, und der allein mir verzeihen kann. Und Ibrahim betete: "Mein Herr, gib mir Weisheit und vereinige mich mit dem Gerechten. Und lass spätere Generationen Gutes von mir berichten. Und lass mich unter den Erben des Gartens sein. Und vergib meinem Vater. Siehe, er gehört zu den Verirrten. Und verlass mich nicht an dem Tag, an dem weder Vermögen noch Nachkommen den Menschen nützen sondern nur der angenommen wird, der Allah sein ganzes Herz bringt."
An jenem Tag werden die Götzendiener zu ihren Götzen sagen: Wahrhaftig, es war ein Irrtum, euch mit Allah gleichzusetzen. Wie sind wir doch verführt worden! Nun haben wir weder einen Fürsprecher noch irgendeinen Freund, der uns helfen kann. Ach, könnten wir doch in die Welt zurückkehren und Gläubige werden!"
Ibrahim sah, dass er mit Worten die Götzendiener nicht einmal zum Zuhören bewegen konnte. Er musste ihnen zeigen, was er meinte, und sprach: "Ihr werdet schon sehen, dass die Götzen nicht einmal sich selbst helfen können, und erst recht nicht anderen."
Eines Tages fand in der Stadt ein großes Fest zu Ehren eines bestimmten Sterngötzen statt, und die Götzendiener forderten Ibrahim auf, mit ihnen zu feiern. Er aber erwiderte: "Mir ist übel geworden." Die Götzendiener bemerkten nicht die Ironie in seinen Worten und ließen ihn allein zurück, während sie zum Festplatz gingen.
Kaum waren sie fort, da betrat Ibrahim den großen Tempel, in dem die Götzenfiguren standen, regungslos, geopferte Speisen und Getränke standen unberührt vor ihnen. Ibrahim sprach zu ihnen: "Warum esst ihr nicht? Und was ist los mit euch, dass ihr nicht sprecht?" Die Figuren aber regten sich nicht von der Stelle. Da schlug Ibrahim sie allesamt in Stücke, bis auf den größten, damit es so aussah, als hätte dieser sie zerstört.
Am nächsten Morgen entdeckte der Oberpriester die zerstörten Götzen und alarmierte sofort alle wichtigen Leute in der Stadt. Alle waren empört. "Wer kann das gewesen sein?" fragten sie untereinander. Schließlich meldete sich einer und sagte: "Ich habe neulich gehört, dass ein Junge schlecht über unsere Götter geredet hat. Vielleicht sollten wir ihn einmal fragen." Diesem Rat folgten die Leute. Sie ließen Ibrahim zum Tempel holen und verhörten ihn. "Hast du unsere Götter zerschlagen?" fragten sie ihn. Er entgegnete: "Aber wieso denn, der Größte von ihnen hat es getan. Das kann man doch deutlich genug sehen. Fragt ihn doch, wenn er sprechen kann. Vielleicht war er eifersüchtig."
Da waren die Götzendiener zunächst verblüfft , aber sie merkten, dass Ibrahim sie zum Narren halten wollte, und sagten: "Du weißt doch, dass sie nicht sprechen." Da sprach Ibrahim: "Verehrt ihr denn statt Allah Wesen, die nicht einmal sprechen können? Die euch weder schaden noch nützen können? Habt ihr denn keinen Verstand?"
Über diese Rede wurden die Götzendiener wütend. Jetzt war es klar, dass dieser Junge nicht nur die Götzen geschändet und zerstört und die Priester zum Narren gehalten, sondern auch alle Ratsherren und wichtigen Leute sogar die größten Gelehrten und Philosophen dieses Landes beleidigt hatte. Wie konnte er nur so etwas wagen!
Gleichzeitig befürchteten sie, er könnte viele Menschen überzeugen und den Glauben an den einzigen Gott im ganzen Land verbreiten, so dass alle Priester und Fürsten ihre Macht verloren, weil niemand mehr Angst vor ihnen und ihren Götzengeschichten haben würde. "Verbrennt diesen Ketzer!" riefen sie daher, und: "Kämpft für unsere Götter!"
Sofort errichteten sie einen gewaltigen Ofen, wie er sonst zum Eisenschmelzen verwendet wird, heizten ihn ein, bis er rotglühend wurde, und warfen den gefesselten Ibrahim in die Flammen.
Aber Allah, der Allmächtige, sprach zu diesem Feuer: "Sei kühl und angenehm!" Da löste das Feuer zwar Ibrahims Fesseln, ihm selbst aber geschah kein Leid, und am nächsten Tag stieg er unversehrt und gut ausgeruht aus dem Schmelzofen.
Die Götzendiener bekamen einen Schrecken, denn sie hatten geglaubt Ibrahim wäre schon längst zu Asche verbrannt. Aber bald hatten sie sich gefasst und sagten: "Wahrscheinlich kann er zaubern." Nur ein paar Menschen wandten sich dem Glauben an Allah zu, unter ihnen Ibrahims Neffe Lut. Die Götzendiener sprachen nicht mit den Gottesfürchtigen, aber gleichzeitig wagten sie auch nciht, ihnen etwas anzutun.
Endlich befahl Allah Ibrahim und den Gottesfürchtigen, ihre Heimat zu verlassen. Zum Abschied sprach Ibrahim zu seinem Vater: "Ich habe nichts mit dem zu tun, was ihr anbetet, und ich diene nur meinem Schöpfer, der mir den rechten Weg zeigen wird. Zwischen den Götzendienern und uns herrscht Feindschaft, bis ihr euch dem einzigen Gott zuwendet, außer, dass ich für dich um Vergebung bitten will, obwohl ich von Allah ohne Seinen Willen nichts für dich erreichen kann."
Die Gottesfürchtigen beteten: "Unser Herr, auf Dich vertrauen wir, und zu Dir kehren wir um, und zu Dir führt unser Weg. Unser Herr, lass und nicht den Gottlosen zum Opfer fallen, und vergib uns. Unser Herr, Du allein bist der Mächtige der Weise." Dann sammelten sie ihre Habe und verließen die Stadt.
Quelle: Geschichten der Propheten aus dem Qur'an; Islamisches Zentrum Hamburg e.V. DIE MOSCHEE